NewTV: Müssen alle alles machen?

0

Neun Referenten aus Broadcast, Verlagswesen und Internet erläuterten ihre Web-TV-Strategie auf dem New-TV-Kongress im Hamburger Oberhafenkontor

Hamburg – Bereits Anfang April lud die jüngst gegründete Standort-Initiative nextMedia Hamburg zum sechsten NewTV-Kongress. Der Kongress beleuchtet den digitalen Medienwandel, legt seinen Fokus dabei auf das Bewegtbild. Broadcaster versuchen, Nischen im Internet möglichst rasch zu besetzen. Verlage und Web-TV-Produzenten wittern wiederum ihre Chance, sich mit bestenfalls pfiffigen Formaten ein – in der Regel – junges Online-Publikum zu erobern. Doch wohin die Reise geht, können die Branchenexperten nur vermuten – schließlich haben auch sie keine Glaskugel. Angesichts der verschiedenen Medienkanäle, die Bewegtbildproduzenten heute bespielen können und womöglich müssen, stellte Moderator Kai Flatau die Frage: „Müssen alles alles machen?“

Axel Meiling von der Unternehmensberatung Mücke, Sturm & Company beantwortete die Frage – wie letztlich die Mehrzahl der Referenten – mit einem entschiedenen Nein. Seine These hingegen: Wenn jemand alles machen möchte, dann zumindest konsequent, beherrschbar und eingebunden in eine Strategie. Denn natürlich müsse nicht jeder alles machen – wie Meilung anhand spezialisierter Anbieter wie beispielsweise The Economist zeigte: Das Online-Angebot des englischsprachigen Wirtschaftsmagazins ist ausschließlich gegen Bares abrufbar. Möglich mache dies eine konsequente Fokussierung auf ein qualitativ hochwertiges Angebot, so Meiling. Oder Netflix: Dessen klare Ausrichtung auf Flatrate-Streaming sei für den großen Erfolg dieses US-amerikanischen Video-Streaming-Dienstes ausschlaggebend.

Während Unternehmen wie Axel Springer oder ProSiebenSat.1 mit einer klaren Orientierung auf das Online-Geschäft Erfolge feierten, seien große Konzerne wie AOL Time Warner an ihrer Unentschlossenheit gescheitert, konstatierte Meiling. Auch Verlage wie Holtzbrinck hätten mit eher halbherzigen Schritten in Richtung Online, wie dem Kauf von StudiVZ, einiges Geld verbrannt.

Frank BeckmannFrank Beckmann, der Programmdirektor des NDR Fernsehens, sieht die Lösung in der eierlegenden Wollmilchsau, von der er eine interessante grafische Visualisierung präsentierte. Dies seien die Mitarbeiter, die der NDR künftig suche, so Beckmann. Denn neue Produktionstechniken veränderten die Arbeit in den Redaktionen. Redakteure drehten und schnitten bereits heute und künftig zunehmend selbst – so Beckmanns Credo. Zur Veranschaulichung präsentierte Beckmann einen Reportage-Rucksack der Firma Code One. Diese Technik, so der Programmdirektor, ersetze einen kompletten Ü-Wagen. Via Mobilfunk ließen sich so ganze TV-Sendungen übertragen – wie dies etwa die Jung-Volontäre beim NDR-Hörfunk bereits praktizierten. Überraschende Töne aus dem öffentlich-rechtlichen Lager – das die strikte Trennung von Redaktion und Technik jahrzehntelang propagierte.

Beckmann nannte ein weiteres Beispiel für die Multimedia-Orientierung des NDRs: Er und alle anderen NDR-Mitarbeiter hätten einen roten Knopf in ihrer Tagesschau App auf dem Smartphone. Damit könnten die Kollegen direkt auf Live-Sendung gehen und sich quasi in den Live-Stream einklinken, behauptete Beckmann. Zudem erwähnte er das Bewegtbildangebot des Online-Satiremagazins Der Postillon, das den Schritt vom Web ins lineare Fernsehen geschafft hat – und nun einen festen Platz in extra 3 belegt.

NDR QuizduellDies fasste Beckmann unter dem Titel „Experimente wagen“ zusammen: Nicht nur TV-Angebote und -Marken ins Internet zu verlängern, sondern umgekehrt auch Online-Angebote via TV auszustrahlen. Beckmann zeigte zudem Screenshots einer Weiterentwicklung der erfolgreichen App Quizzduell: So ließe sich etwa vorstellen, sich über das App-Quiz in eine Live-Sendung einzuklinken – ebenfalls eine Umkehr des klassischen Wegs von der TV-Sendung zur App. Die App-Erweiterung sei derzeit ein reines Gedankenspiel, betonte Beckmann. Als weitere Online-Strategie nannte Beckmann den Datenjournalismus in Verbindung mit Allianzen: Denn die aufwendigen Recherchen, etwa im Fall von Offshore-Leaks, seien nur in Zusammenarbeit mit weiteren Publikationen wie der SZ zu realisieren.

Eiko Wachholz erläuterte die Strategie der TV-Produktionsfirma Casei Media GmbH, die er 2012 zusammen mit dem Ex-Spiegel-TV-Geschäftsführer Cassian von Salomon gegründet, hatte. Casei Media setze beispielsweise darauf, Rechte an den Eigenproduktionen zu behalten und die Verwertung nicht vollständig an die Programmveranstalter abzutreten. Im Gegenzug müsse man allerdings einen Preisnachlass einkalkulieren, so Wachholz. Die Rechte am Rohmaterial ließen sich dann über Kooperationspartner monetarisieren, so Wachholz. Als Beispiel nannte er eine Produktion über die Silberpfeile für die Mercedes Benz AG. Teile des Materials konnte Casei Media dann für andere Produktionen über die Automobilgeschichte, etwa auf n-tv, noch einmal verwenden. So baue die Produktionsfirma einen Rechtepool auf, der regelmäßige Einnahmen generiere.

Weitere Referenten waren etwa Christoph Falke, Leiter TV & Radio bei Axel Springer, der in seinem Vortrag die erste Spielfilmproduktion auf 1927 bezifferte, oder Arnd Benninghoff, der für ProSiebenSat.1 das Online-Geschäft weiterentwickelt und sich für die Trendsuche in Kalifornien niedergelassen hat.

Auf der abschließenden Podiumsdiskussion erörterten Ralf Klassen (One TV Mag), Bertram Gugel (Medienexperte), Richard Gutjahr (Journalist & Blogger) und Hannes Jakobsen (Divimove) Trends und Chancen des Web-TVs.

Share.

Autor

Recording, Musikproduktion und Schlagzeug zählen ebenso zu meinen Interessen wie Medientechnik und Broadcast. Nach Stationen bei Tonstudio Zuckerfabrik, R&P Showtechnik & Veranstaltungsservice, SWR, WDR und Axel Springer arbeite ich als freiberuflicher Technikjournalist und Medieningenieur. Dabei biete ich Fachartikel, Produktbeschreibungen und Content-Marketing für Verlage und Unternehmen.

Mehr über meine Dienstleistungen erfahrt ihr auf

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.