IP in der Medienproduktion

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Die Digitalisierung verändert sämtliche Branchen. Obwohl die Medienproduktion seit Jahren vollständig digital abläuft, bahnt sich hier ein weiterer Wandel an: Die grünen Strippen, wie die Medienbranche ihre SDI-Kabelverbindungen liebevoll nennt, sollen unmittelbar vor der Ablösung stehen – durch graue Netzwerkkabel.

Der Fachverband FKTG (Fernseh- und Kinotechnische Gesellschaft) unter seinem Vorsitzenden Dr.-Ing. Siegfried Fößel vom Fraunhofer IIS hatte bereits Ende September zum Mediensymposium nach Erfurt geladen. Gefolgt waren rund 80 Techniker, Ingenieure und Vertriebsmitarbeiter aus dem Broadcast- und Medientechnik-Umfeld. Das Thema: IP in der Medienproduktion. Seit wenigen Jahren wird auf Broadcastmessen wie NAB und IBC über ein Ende der sogenannten grünen Kabel spekuliert. Doch die dafür nötigen technischen Standards und Protokolle sind beileibe nicht vollständig entwickelt und vor allem nicht in sämtliche Gerätschaften implementiert, sondern gerade erst im Entstehen begriffen.

Vernetzt

Welche Gründe führen die Broadcast-Industrie weg von SDI-Kabeln und hin zu IP-Verbindungen? Die Referenten des Mediensymposiums führten dafür mehrere Punkte auf: Niedrigere Kosten durch Standard-IT-Technik, weniger Kabel und neue Workflows erwähnte beispielsweise Markus Berg, Netzwerkexperte am Institut für Rundfunktechnik in München (IRT). Für Felix Krückels, Director of Business Development bei der Lawo AG, ist die Entwicklung hin zu Netzwerktechnik eine unvermeidliche Folge verschiedener Branchentrends: Etwa des wachsenden nichtlinearen Videokonsums per Video on Demand, der immer flotteren Entwicklungsgeschwindigkeit der IT-Technik, deren Größe im Vergleich zur kleineren Broadcast-Industrie, der zahlreichen verschiedenen Video- und Audioformate sowie des Internet der Dinge.

Vorbestimmt

Die Netzwerktechnik hat zweifellos große Vorteile: Per Netzwerk lassen sich Signale nicht nur Punkt zu Punkt, sondern zwischen einer quasi beliebigen Zahl von Geräten austauschen. Denn ein Netzwerk ist keine Einbahnstraße: Jede der grauen Netzwerkstrippen, fachmännisch als Cat5- oder etwa Cat6-Kabel bezeichnet, schleust Signale in beide Richtungen durch – überträgt Signale also mit Voll- oder Halbduplex auf dem Hin- und Rückweg. Eine Unterscheidung zwischen Sender und Empfänger oder Quelle und Senke ist also passé – beide können beides. Der Haken an der IP-Sache: Das Netzwerk wurde ursprünglich dafür entwickelt, PC-Dateien wie Texte, Datenbanken oder Ähnliches zu übermitteln – Echtzeit spielt für solche klassische IT-Anwendungen keine Rolle.

FKTG_MediensymosiumAnders in der Medientechnik. Hier ist deterministisch einer der Fachbegriffe, die auch auf dem Mediensymposium öfters fielen. Er stammt aus der Signaltheorie: Ein Signal ist deterministisch, wenn sich dessen Verlauf über die Zeit exakt vorhersagen oder vielmehr berechnen lässt. Derzeit ist diese deterministische Signalübertragung in der Medientechnik Usus: Etwa bei einer digitalen Audioverbindung per AES-3 oder MADI, oder eben auch beim Serial Digital Interface (SDI), das in der Broadcasttechnik unkomprimierte HD- und SD-Video-Komponentensignale und bis zu 16 Audiokanäle befördern kann. Verwendet werden hierfür koaxiale Kupferkabel, die bereits erwähnten grünen Strippen, da deren Mantel meist aus grünem PVC oder feuerbeständigem FRNC gefertigt ist. Die Übertragung über all diese Schnittstellen wie AES-3 oder SDI erfolgt quasi in Echtzeit, da selbst bei Leitungslängen über mehrere Kilometer – was dann natürlich nur via Glasfaser gelingt – sich die Signalverzögerungen auf Sekundenbruchteile beschränken.

Genau dies müsste auch die IP-Technik bewerkstelligen, wollte sie in der Medienproduktion die etablierte SDI-Kabelage verdrängen – wie Markus Berg verdeutlichte. Berg formulierte folgende Anforderungen an IP-Technologien für die Medienproduktion: Eine Bandbreite bis 3 Gigabit pro Sekunde (für HD-Produktionen), Echtzeit im Mikro- oder gar im Picosekundenbereich, um auch zwischen IP-basierten Videosignalen wie bislang störungsfrei in der Austastlücke umschalten zu können, die Möglichkeit, Kreuzschienen mit bis zu 500 x 500 Koppelpunkten zu realisieren.

Verschiedene Standards

Die Frage ist nur, welche Netzwerk-Techniken das Rennen machen. Verschiedene Protokolle buhlen derzeit um ihre Verwendung in der Medientechnik: Im Audiobereich, der deutlich niedrigerer Bandbreiten als die Videotechnik bedarf, tummeln sich aktuell Ravenna, Dante und die übergreifende Norm AES-67. Für die Übertragung von Video- und Audio werden derzeit vor allem AVB (Audio Video Bridging) und der noch recht junge SMPTE-Standard ST 2022 diskutiert.

Wie Michael Schneider, Business Development Manager bei Axon Digital Design ausführte, erfüllt Audio Video Bridging (AVB), das im Standard IEEE 802.1 vorgestellt wurde, wesentliche Voraussetzungen für eine Echtzeit-Produktion: Mittels eines Precision Time Protocols (PTP) ermöglicht es die Synchronisation verschiedener Signale innerhalb einer Domäne und reserviert im Netzwerk eine feste Bandbreite für die Audio- und Videonutzlast. Für lokale Produktionen eignet sich daher AVB durchaus. Es erfreut sich in der Veranstaltungstechnik, aber auch im Automobilbereich zunehmender Beliebtheit. Axon setzt auch für Broadcast auf AVB und befindet sich dabei in Gesellschaft von Unternehmen wie Riedel, Avid, Meyer Sound oder Cisco. Auf der letzten IBC zeigte Axon ein Produktionsnetzwerk basierend auf AVB.

Doch AVB birgt einen wesentlichen Nachteil: Es eignet sich nicht für Weitverkehrsnetze (WAN), sondern ausschließlich für lokale Netzwerke (LAN). Denn AVB ermöglicht die Synchronisation verschiedener Signale nur in einer geschlossenen Produktionsumgebung. Damit ist es für ein attraktives Produktionsszenario ungeeignet: Mittels Remote-Produktionen sollen sich die Kosten in der Broadcast-Produktion senken lassen. Vor Ort im Fußballstadion könnten etwa Kameraleute ihren Dienst verrichten. Bildmischer, Slomo und Regie würden derweil vom Studio aus die Geschicke lenken – wenn sich Produktions- wie Kommandosignale in Echtzeit in beide Richtungen über Weitverkehrsnetze (WAN) übermitteln ließen – was mit AVB eben nicht klappt.

Für die Kontribution, also den Programmaustausch zwischen Rundfunkhäusern, wurde dagegen der Netzwerkstandard SMPTE ST 2022 entwickelt. Mittels ST 2022 lassen sich SDI-Signale in IP-Paketen verpacken und per Netzwerk verschicken, wie etwa Berg vom IRT und Schneider von Axon erläuterten. Für Schneider hat ST 2022 Nachteile gegenüber AVB: Es beinhaltet keine Synchronisation, erkennt keine Videoformate und verfügt über keine Bandbreitenreservierung. Echtzeit-Produktionen gelingen daher nicht allein mit ST 2022, sondern erfordern zusätzliche Techniken. Diese lassen sich über sogenannte SDN-Anwendungen (Software Defined Networks) realisieren: SDN steuern etwa die entsprechenden Switches, und können über Techniken wie dem PTP (Precision Time Step), das beispielsweise IEEE 1588 beschreibt, wiederum die Synchronität verschiedener Signale herstellen.

Einige namhafte Hersteller wie Sony, Nevion, Ateme, Evertz oder Lawo setzen derzeit auf SMPTE ST 2022. Netzwerk-Branchenprimus Cisco ist sowohl bei ST 2022 wie bei AVB an Bord. Der Haken der beiden Technologien: Sie lassen sich derzeit nicht zusammen in einem Netzwerk verwenden, sondern schließen sich gegenseitig aus. Zudem gerät ein wesentliches Argument für die vernetzte Studioproduktion ins Wanken: Niedrigere Kosten lassen sich nur mit Standard-Netzwerktechnik erreichen, die in großen Stückzahlen produziert wird und daher kostengünstig ist. Verwenden die verschiedenen Hersteller unterschiedliche SDN-Applikationen zur Steuerung von Netzwerk-Komponenten, lassen sich schwerlich sogenannte COTS, also Common-of-the-Shelf- und damit beliebige Standard-Produkte einsetzen.

Umschalten

Eine weitere bis dato ungelöste Problematik ist das Umschalten zwischen verschiedenen Video-IP-Signalen ohne sichtbare Störungen. Dies gelingt in der analogen wie der digitalen Videotechnik nur, wenn die Signale absolut zeitsynchron vorliegen. Für die Umschaltung von IP-Videosignalen werden aktuell drei verschiedene Verfahren diskutiert, wie Claus Pfeifer, Marketing Manager bei Sony Professional und Felix Krückels von Lawo verdeutlichten. Beim Destination Timed Switching steuert die Senke den Schaltvorgang. Hierfür muss das Signal zweifach an der Senke anliegen, wodurch sich auch die erforderliche Bandbreite verdoppelt. Diese Variante befürwortete Pfeifer. Beim Source Timed Switching steuert die Quelle das Umschalten. Wie ein solches Source Timed Switching aussehen könnte, erläuterte Krückels in seinem Vortrag. In der Netzwerktechnik bedeutet ein Umschalten von einer auf die andere Quelle letztlich den Wechsel einer Netzwerkadresse oder eben eines Ports. Laut Krückels soll der Schaltprozess über einen Portwechsel der beiden Quellensignale gelingen. Krückels favorisiert die Source-Timed-Switching-Variante. Daneben gibt es noch die Switch-Timed-Switching-Technik, bei der der Switch den Schaltvorgang kontrolliert. Dies könne jedoch, so Pfeifer, nur mit speziellen Switches gelingen, die dann wiederum kaum die Forderung nach Standard-IT-Technik erfüllen könnten. Die verschiedenen Switch-Techniken wurden auf dem Symposium durchaus kontrovers diskutiert, wobei eine weiterführende Podiumsdiskussion zum Thema angeregt wurde.

Ausblick

Diese und weitere Details verdeutlichten, dass ein Wechsel von SDI auf IP keineswegs unmittelbar bevorsteht. Vielmehr werden sich, so der Tenor, nach und nach Insellösungen herausbilden. Die aktuelle 10-Gigabit-Netzwerktechnik bedeutet bereits für die aktuelle HD-Videotechnik eine Hürde. Unkomprimierte HD-Videosignale haben eine Bandbreite von bis zu 3 Gigabit/s. Bei unkomprimierten UHD-Signalen ist indes das Ende der Fahnenstange erreicht, UHD-Signale lassen sich nur komprimiert über ein 10-GB-Netzwerk übermitteln. Selbst das Ziel, die Kosten zu senken, lässt sich womöglich nicht wie gewünscht erreichen: Denn IT-Fachpersonal ist erheblich teurer als Audio- und Videoingenieure, und dies dürfte sich in Zukunft kaum ändern. Ein weiterer Engpass, der mehrmals erwähnt wurde, ist die fehlende Messtechnik für IP-AV-Signale.

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Autor

Recording, Musikproduktion und Schlagzeug zählen ebenso zu meinen Interessen wie Medientechnik und Broadcast. Nach Stationen bei Tonstudio Zuckerfabrik, R&P Showtechnik & Veranstaltungsservice, SWR, WDR und Axel Springer arbeite ich als freiberuflicher Technikjournalist und Medieningenieur. Dabei biete ich Fachartikel, Produktbeschreibungen und Content-Marketing für Verlage und Unternehmen.

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